Kempen: „Die Universität ist weder ein Platz für falsche Rücksichtnahmen noch für unbegründete Anschuldigungen“

DHV zum Umgang mit anonymen Anschuldigungen in der Wissenschaft


Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat sich für einen umsichtigen Umgang mit anonymen Vorwürfen in der Wissenschaft ausgesprochen. „Bereits der bloße Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens vermag Karrieren Beschuldigter zu ruinieren, beschädigt den Ruf von Institutionen und lässt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Redlichkeit von Wissenschaft schwinden“, betonte der Präsident des DHV, Professor Dr. Bernhard Kempen, im Rahmen der Tagung „Absender unbekannt. Verfahren der Wissenschaft zum Umgang mit anonymen Anschuldigungen“ an der Universität Passau, zu deren Mitorganisatoren der DHV gehört. Vor diesem Hintergrund sollten Hinweisgeberinnen bzw. Hinweisgeber weder leichtfertig noch vorschnell einen Verdacht äußern. Bewusst falsche und fahrlässig falsche Anschuldigungen seien selbst als wissenschaftliches Fehlverhalten zu werten, das gegebenenfalls disziplinar-, arbeits- oder auch strafrechtlich geahndet werden müsse.

Klar sei aber auch: Bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten dürfe es generell keinen Platz für falsch verstandene Kollegialität geben, so Kempen weiter. „Wer seiner Verantwortung als Wissenschaftlerin bzw. Wissenschaftler nachkommt und den Verdacht auf mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten äußert, erfüllt eine berufliche Pflicht und sollte weder als Denunziant noch als Nestbeschmutzer diffamiert werden. Whistleblower, die in redlicher Absicht Missstände aufdecken, riskieren oftmals ihre eigene Karriere und verdienen deshalb Schutz. Berufliche Nachteile dürfen ihnen nicht entstehen.“

Laut DHV-Präsidenten sollten Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber mit offenem Visier agieren und grundsätzlich mit ihrem Namen für die Anzeige eines Verdachts auf mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten einstehen. Gleichwohl sei es verständlich, wenn sie etwa aus Sorge um ihre eigene Karriere gegebenenfalls anonym bleiben wollten. „Die Vertrauenspersonen und Einrichtungen, die einen Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten überprüfen, müssen jeder, auch der anonym geäußerten Beschuldigung nachgehen, sofern diese hinreichend substantiiert erscheint“, betonte Kempen weiter. Anonymitätsschutz für den Whistleblower müsse auch im Falle eines nicht erweisbaren wissenschaftlichen Fehlverhaltens gelten. Whistleblower, die den Weg des Ombudsverfahrens beschritten, seien demgegenüber ihrerseits zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet. Nur so könne für alle Beteiligten bleibender Schaden vermieden werden, falls sich der Vorwurf des Fehlverhaltens nicht bewahrheiten sollte.

Kempen appellierte an alle Hochschulen und Fakultäten, umfassende und koordinierte Verfahrensvorkehrungen für den Umgang mit sexueller Belästigung oder Mobbing zu treffen. Die meisten Hochschulen verfügten zwar bereits über zahlreiche Anlaufstellen, an die sich Betroffene wenden könnten, häufig gebe es aber ein ungeordnetes Nebeneinander von Zuständigkeiten. „Das ist unprofessionell und rechtsstaatswidrig“, so der DHV-Präsident weiter. Für Fragen und Konflikte guter wissenschaftlicher Praxis müssten die an den Universitäten und Forschungsorganisationen bewährten Ombudsstellen und –personen zuständig bleiben. Bei sexueller Belästigung und Mobbing bedürfe es aber einer zusätzlichen, universitätsinternen, zentralen und ständig erreichbaren Anlaufstelle, die autonom von jeder Hochschule gestaltet und besetzt werden könne. Einer solchen Clearingstelle sollten ein Mitglied, besser aber mehrere Mitglieder angehören, die durch zwei Staatsexamina die Befähigung zum Richteramt nachgewiesen haben. Zeitnah müsse hier rechtsstaatskonform entschieden werden, ob das Gremium selbst tätig werden könne oder ob ein Fall an die Staatsanwaltschaft abgegeben werde oder zusätzlich oder alternativ arbeitsrechtliche und disziplinarrechtliche Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Wer zu Unrecht des Mobbings, der sexuellen Belästigung oder eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens bezichtigt werde, sollte DHV-Präsidenten Kempen zufolge rehabilitiert werden können. Nach Abschluss des Prüfverfahrens müssten Beschuldigte einen Anspruch darauf haben, dass ihre Unschuld auf Wunsch auch öffentlich festgestellt werde. Dies sei wichtig, damit der wissenschaftliche Ruf zu Unrecht beschuldigter Personen nicht dauerhaft Schaden erleide.

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