Augsburger Thesen

Augsburger Thesen zur Juniorprofessur, Augsburg, 21. Juli 2000

I. Kritik an der geplanten Dienstrechtsreform

Die Dienstrechtsreform und die Einführung einer Juniorprofessur wird vor allem mit drei Zielen begründet: Senkung des zu hohen Durchschnittsalters der Habilitanden, Schaffung ei-ner größeren Unabhängigkeit des Juniorprofessors im Vergleich zum jetzigen Assistenten und Einführung einer stärker leistungsgerechten Bezahlung.

1. Senkung des zu hohen Durchschnittsalters

a) Notwendigkeit einer Differenzierung der wissenschaftlichen Qualifikationsphase

Die Einführung der Juniorprofessur wird damit begründet, dass heutige Habilitanden mit knapp 40 Jahren (andere Zahlen sprechen von 42 Jahren) zu alt wären und die Juniorprofessur die Ausbildungszeit verkürzen könne. Dieser Durchschnittswert wird der wissenschaftlichen Qualifikationphase einzelner Fächer aber nicht gerecht. Juristen, Mathematiker oder Wirtschaftswissenschaftler habilitieren sich beispielsweise im Durchschnitt zwischen 34 und 36 Jahren. (Erst jüngst wurde in Bayern eine Kollegin mit 29 Jahren Lehrstuhlinhaberin.) Eine Verkürzung der wissenschaftlichen Qualifikationsphase ist für zahlreiche Fächer nicht not-wendig.

b) Hohe Arbeitsbelastung des Juniorprofessors

Nach jetzigem Recht hat der wissenschaftliche Assistent in den maximal sechs Jahren, die ihm zur Qualifikation zur Verfügung stehen, eine vierstündige Lehr-verpflichtung. Daneben hat er Zeit für die Forschung, also für Promotion, Habilitation und weitere Veröffentlichungen. Statt dessen ist die Arbeitsbelastung des Juniorprofessors deutlich höher als die des wissenschaftlichen Assistenten: - Er soll doppelt soviel, nämlich bis zu acht Stunden lehren - gerade das erstmalige Erstellen von Vorlesungsunterlagen ist aber besonders zeitintensiv. - Als gleichberechtigtes Mitglied des Professoriums hat der Juniorprofessor die volle Prü-fungstätigkeit zu übernehmen - und wird voll mit den Verwaltungsaufgaben betraut. Vor allem muss der Juniorprofessor in diesen Jahren seine wissenschaftliche Qualifikation nachweisen, also publizieren, um sich mit Erfolg auf eine Lebenszeitprofessur bewerben zu können. Das wird ihm wegen dieser hohen Grundbelastung in deutlich geringerem Maße gelingen als dem wissenschaftlichen Assistenten. Sollen aber der bisherige wiss. Assistent und der Juniorprofessor künftig nebeneinander bestehen, ist zu prognostizieren, dass der wiss. Assistent einen stärkeren Qualifikationsnachweis in der Forschung nach Ablauf der sechs Jahre vorweisen kann.

c) Nachteile des Auswahlverfahrens zum Juniorprofessor

In einem Auswahlverfahren soll die Promotion ausreichen, um sich auf eine Juniorprofessor zu bewerben. Damit wird die Dissertation zur eigentlichen Hürde für die Stelle einer Juniorprofessur. Um überhaupt Chancen für eine Juniorprofessur zu haben, ist deshalb zu erwarten, dass die Anfertigung einer Promotion deutlich länger dauern wird. Promotionen und deren Bewertungen sind oft nur schwer miteinander vergleichbar. Um also in einem offenen Auswahlverfahren beurteilen zu können, ob der Kandidat für eine Juniorprofessur geeignet ist, wird man deshalb auf zusätzliche Leistungskriterien zurückgreifen müssen. Die Erfahrungen in den USA zeigen, dass der Bewerber auf eine Stelle als Assistant Professor üblicherweise noch über mehrjährige berufliche Erfahrungen und Veröffentlichun-gen in namhaften Zeitungen verfügen muß, um realistische Chancen für eine solche Professur zu haben. Solche Voraussetzungen werden die Qualifikationsphase nicht verkürzen, sondern verlängern. Nicht von ungefähr schlägt Frau Bundesministerin Buhlmann nun eine Zeitspanne von bis zu sechs Jahren für die Promotion und weiteren sechs Jahren für die Juniorprofessur vor. Warum der in 12 Jahren wissenschaftlich Qualifizierte, jünger sein soll, als die bisherigen wissenschaftlichen Assistenten, denen für Promotion und Habilitation insgesamt nur sechs Jahre zur Verfügung stehen, ist noch nicht dargetan. Die Einführung der Juniorprofessur wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die wissenschaftliche Qualifikationsphase deutlich verlängern und nicht verkürzen.

2. Vermeintliche größere Unabhängigkeit des Juniorprofessors Auch die angestrebte größere Unabhängigkeit des Juniorprofessors im Vergleich zum wiss. Assistenten ist zweifelhaft.

a) Betreuung des wiss. Assistenten durch den Universitätsprofessor Wer das Innenleben einer Universität kennt, weiß, dass es jetzt schon einen Wettbewerb zwi-schen den Lehrstühlen um die besten Studenten und Examenskandidaten gibt. Wer seine Mit-arbeiter ausbeutet, wird diesen Wettbewerb nicht gewinnen. Die Anbindung an einen Lehrstuhl bedeutet in der Regel eine besondere Betreuung; der Professor steht in einem Fürsorgeverhältnis zu seinem wissenschaftlichen Assistenten. (Nicht umsonst spricht man vom Doktor- und Habiliations-"vater"). Das enge, auf wissenschaftlichen Austausch angelegte Verhältnis des wissenschaftlichen Assistenten zu seinem Professor fördert sicherlich die wissenschaftliche Qualifikation des Kandidaten. In der Regel lernt der wiss. Assistent erst im Laufe der Zeit die höhere Kunst wissenschaftlichen Forschens. Sehr anschaulich wird in Deutschland deshalb in vielen Fächern zwischen der Doktorarbeit als "Gesellenstück" und der Habilitation als "Meisterstück" unterschieden. Die Promotion als Erstlingswerk und die Routine von weiteren Veröffentlichungen ermöglichen dann auch die tiefere systematische Durchdringung eines größeren und breiteren Gebietes im Rahmen der Habilitation, einen Ausweis, um den uns viele Staaten beneiden. Wie aber bereits dem Doktoranden ein solcher "Reifeprozess" gelingen soll, bleibt unklar.

b) Abhängigkeiten des Juniorprofessors

aa) Problem der Hausberufung

Der Juniorprofessor steht einer hohen Arbeitsbelastung gegenüber; in der Fakultät ist er ohne Anbindung zu einem C-3 oder C-4 Professor ganz auf sich alleine gestellt. Vielmehr ist er nun schwächstes Glied in der Fakultät. Sollte künftig die Hausberufung für ihn zulässig sein, ist eine besondere Abhängigkeit des Juniorprofessors zu den Mitgliedern des Professoriums schon indiziert. Aus gutem Grund wird die Hausberufung als leistungshemmend bisher abge-lehnt.

bb) Trotz zusätzlicher Hürde keine klare Perspektive auf eine Lebenszeitprofessur

Die Juniorprofessur ist auch deshalb abzulehnen, weil sie nur Teile der US-amerikanischen wissenschaftlichen Laufbahn auf das deutsche System überträgt, den attraktivsten Part dem Juniorprofessor aber vorenthält. In den USA stehen nach Ablauf von fünf oder sechs Jahren ausreichend Stellen zur Verfügung, um dem Juniorprofessor eine unbefristete Stelle (tenure) zu offerieren. Üblicherweise liegen die Chancen bei 30 - 60%, eine solche unbefristete Stelle zu erhalten. In Deutschland entscheiden dagegen nicht die Fakultäten, sondern die (Finanz-) Ministerien über die Anzahl der freien, zur Verfügung stehenden Stellen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich daran etwas ändert. Das künftige Modell enthält damit einen gravierenden Systemfehler: Es erschwert die Qualifikation durch eine zweite Hürde (nämlich die Bewerbung um eine Ju-niorprofessur), ohne ein Mehr an Attraktivität zu geben (nämlich nach entsprechender Quali-fikation die gesicherte Lebenszeitprofessur).

cc) Verzicht auf Habilitation als Verzicht auf einen Qualitationsnachweis

Neben der Aufgaben der Hochschulverwaltung widmet sich der Professor Lehre und Forschung. Bei der Vergabe von C-3 oder C-4-Stellen würdigt der Fachbereichsrat besondere Auszeichnungen aus der Lehrtätigkeit des Bewerbers, aber insbesondere Qualität seiner Dis-sertation, seiner Habilitation und seiner sonstigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dabei fällt der Habilitation eine herausragende Rolle zu. Die Habilitation ist in Breite und Tiefe der Behandlung des gewählten Themas in aller Regel der Dissertation und Aufsätzen weit überlegen. Auch außerhalb der Hochschullaufbahn ist die Habilitation in vielen Fächern karrierefördernd ist. Der Juniorprofessor verzichtet bei einer höheren Grundbelastung auf die Habilitation als höchsten Qualifikationsnachweis wissenschaftlichen Arbeitens.

3. Leistungsgerechte Bezahlung

Die Dienstrechtsreform wird schließlich damit begründet, durch Einführung sachgerechterer Leistungskriterien die Attraktivität der Hochschullaufbahn zu erhöhen, Abwanderungstenden-zen entgegenzuwirken und auf diese Weise international wettbewerbsfähig zu sein. Genau das Gegenteil wird erreicht.

a) Vergleich Juniorprofessor mit dem wissenschaftlichen Assistenten

Die Stelle des Juniorprofessors ist trotz deutlich höherer Grundbelastung auch finanziell nicht wesentlich attraktiver als die Stelle des jetzigen C1-Assistenten.

b) Nicht konkurrenzfähige Eingangsgehälter

Die Besoldungsreform plant eine deutliche Absenkung der Gehälter der Lebenszeit-profes-suren sowie die Streichung der Dienstaltersstufen. Allein mit einer Absenkung des Grund-gehaltes entgehen dem jungen Professor 10.000,- bis 25.000,- DM pro Jahr im Vergleich zur bisherigen Regelung. Der Hinweis, man könne als Berufsanfänger über das Gehalt verhan-deln, ist zynisch, denn ohne weitere erste Listenplätze gibt es für den Kandidaten nichts zu verhandeln. Auch die Streichung der Dienstalterstufen ist so nicht nachvollziehbar. Sie sind Teil des Ge-haltes und bei nahezu allen Beamten üblich. Selbst in der Privatwirtschaft ist ein solches Ver-fahren üblich, lassen sich solche Gehaltssteigerungen mit der größeren Erfahrung und Routine von älteren Kollegen im Verhältnis zu ihren Berufsanfängern unschwer rechtfertigen. Die Streichung dieser ruhegehaltsfähigen Dienstaltersstufen führen in einem ersten Schritt zuerst einmal zu deutlichen Gehaltskürzungen. Die Laufbahn ist dann mit vielen Karrieren in der Privatwirtschaft - Informatiker, Rechtsan-wälte, Betriebswirte, um nur einige Berufsgruppen zu nennen - nicht mehr konkurrenzfähig. Es ist zu erwarten, dass die Universität den Wettbewerb um die besten Studenten verlieren wird und sich die schwächeren Kandidaten für die Universitätslaufbahn entscheiden. In den USA werden Juraprofessoren aus diesem Grund deutlich besser bezahlt als beispielsweise Germanistikprofessoren. Nur will man dies?

c) Demotivierende kostenneutrale Umverteilung des Gehaltes

Ohne Zweifel zu unterstützen ist die Forderung, die Übernahme von Funktionen oder beson-ders gute Lehre besonders zu belohnen. Nur geht die geplante Umverteilung durch Senkung der Ausgangsgehälter und Streichung der Dienstalterszulagen auf Kosten der Kollegen. Eine kostenneutrale Dienstrechtsreform steht einer Motivations- und Leistungssteigerung im Wege - ein solches Null-Summen-Spiel ist ein zweiter gravierender Systemfehler, wie gerade der Vergleich mit den USA zeigt: Weil die Universitäten über zahlreiche eigene Einnahmequellen verfügen, werden die Personalkosten nicht durch die Finanzministerien vorgegeben und ge-hen damit auch nicht auf Kosten der Kollegen.

d) Falsche Bindung von Kapazitäten

Zu recht hat man am Beamtenstatus - oder in den USA tenure als Lebenszeitstelle - nicht ge-rüttelt. Ein fest zugesichertes Gehalt soll es ermöglichen, dass der hart arbeitende Wissen-schaftler sich voll der Forschung und Lehre widmen kann. Diese sinnvolle Absicherung wird nun leichtfertig aufgegeben: Künftig soll der Professor mit großem Aufwand nachweisen, warum er besser als sein Kollege ist. Ein solches Verhalten irritiert, schafft Unruhe und lenkt von den eigentlichen Aufgaben der Wissenschaft ab. Es beeinträchtigt darüber hinaus die von der Verfassung zugesicherte Freiheit von Forschung und Lehre. Es wird in dieser Form auch in den USA nicht durchgeführt, wo Leistungskriterien bei den Lebenszeitprofessoren überwiegend nur dazu dienen, die "schwarzen Schafe" zu bestrafen. Wer den hierfür erforderlichen zeitlichen Aufwand kennt, wird ein solches System kaum als effizient bezeichnen können. Auf die große Mehrheit der Professoren haben diese Leistungskriterien zutreffenderweise keine Auswirkungen.

Mit der Einführung der Juniorprofessur in der geplanten Form wird das Ziel einer verkürzten Ausbildung und einer leistungsgerechteren Bezahlung nicht erreicht. Vielmehr wird das vor-gestellte Modell leistungshemmend und ausbildungsverlängernd.

II. Gegenvorschläge zur Optimierung bestehender Strukturen

Die Ziele der Dienstrechtsreform, nämlich eine kurze Qualifikationsphase und eine leistungs-gerechte Besoldung stehen außer Frage. Nur sind die dazu verwendeten Mittel untauglich. Mit deutlich geringerem Aufwand ließen sich die Ziele umsetzen, indem man schon bisher vor-handene Strukturen weiter optimiert.

1. Verkürzung der Qualifikationsphase

a) Beschränkung der Qualifikationsphase auf 6 Jahre

Eine Qualifikationsphase von sechs Jahren ist schon jetzt durch die C-1-Assistentenstellen vorgesehen. In dieser Zeit wird von nicht wenigen Nachwuchswissenschaftlern auch jetzt schon die Dissertation und Habilitation angefertigt werden. Umgehungsmöglichkeiten sollten künftig nicht mehr zugelassen werden. Eine Ausdehnung auf 12 Jahre, wie vorgesehen, ist nicht qualitätssteigernd.

b) Habilitation außerhalb von Assistentenstellen

Schon jetzt ist es möglich, sich über zahlreiche Stipendien unabhängig von einer wissen-schaftlichen Assistentenstelle zu habilitieren. Zur Sicherung eines gleichmäßigen Leistungs-standards wäre es künftig aber beispielsweise ratsam, dass sich der promovierte Kandidat, der sich habilitieren möchte, bei der Fakultät vorstellt. Ein solches Verfahren wird an zahlreichen Fakultäten schon praktiziert.

c) Überschaubare Habilitationsschriften

Zu recht werden überlange Habilitationsschriften jetzt schon nicht mehr durch öffentliche Gelder gefördert. Tiefe geht vor Breite.

d) Leistungen in der Lehre Nicht wenige Universitäten gestehen jetzt schon den wissenschaftlichen Assistenten das Recht zur eigenständigen Lehre zu. Bei Berufungen sind Leistungen in der Lehre ebenso intensiv zu prüfen wie Leistungen in der Forschungen.

2. Beschränkung des Habilitationsverzichts auf einzelne Fächer In vielen Fächern hat die Habilitation als Nachweis der Qualifikation wissenschaftlichen Arbeitens weiterhin seinen Sinn. Dort, wo sie nicht benötigt wird, sehen jetzt schon die Hochschulgesetze vor, dass auf die Habilitation als wissenschaftlicher Nachweis verzichtet werden kann. In den ingenieurwissenschaftlichen und musischen Fächern haben zahlreiche Lehrstuhlinhaber keine Habilitation.

3. Bessere Absicherung nach der Habilitation

Den habilitierten Kollegen, die sich also ausreichend qualifiziert haben, sollten stärker als bisher auch C-2-Stellen zur Verfügung stehen. Auch eine solche Sicherheit ist hilfreich, um bessere Kandidaten für diese Laufbahn zu gewinnen.

4. Leistungsgerechte Bezahlung

Die Berufungsverhandlung als einziger Weg der Gehaltserhöhung ist zu recht abzulehnen, bevorzugt ein solches Verfahren doch den wegzugswilligen (und möglicherweise an der Fa-kultät weniger engagierten) Professor. Es wird so rigoros auch in der Privat-wirt-schaft nicht angewendet. Herausragende Leistungen in Lehre, Forschung oder Verwaltung sollten deshalb gehaltsstei-gernd wirken, ohne dass eine solche finanzielle Honorierung auf Kosten des Gehaltes der an-deren Professoren geht. So ließe sich auch dem m.E. viel zu stark dramatisierten "Aderlass" deutscher Wissenschaftlicher in das Ausland begegnen.

III. Resumé - der doppelte Systemfehler

Der Entwurf enthält zumindest zwei gravierende Systemfehler, wie die fehlende Aussicht des Juniorprofessors auf eine Lebenszeitprofessur bei entsprechender Qualifikation und die Kostenneutralität der Dienstrechtsreform. Er ist dem bisherigen Modell nicht überlegen, sondern mindert vielmehr die Konkurrenzfähigkeit der Hochschullaufbahn gegenüber attraktiven Alternativen. Beides wirkt geradezu kontraproduktiv auf eine Motivations- und Leistungssteigerung. Unter dem Euphemismus "leistungsgerechtere Bezahlung" wird auf breiter Front versucht, eine drastische Gehaltskürzung durchzusetzen. Die Einführung des Juniorprofessors wird die Position des jetzigen wissenschaftlichen Nach-wuchses, aber auch der jetzt schon berufenen jüngeren Professoren nachhaltig verschlechtern.

Augsburg, 21. Juli 2000