Eckwertepapier des Deutschen Hochschulverbandes
Der Deutsche Hochschulverband hat bereits 1991 öffentlich die politische Verknüpfung zwischen einer von der Universität zu leistenden Studienreform einerseits und zusätzlicher staatlicher Mittel für den Hochschulbereich andererseits in Frage gestellt. Im Laufe des Jahres 1993 ist zunehmend deutlicher geworden, daß Bund und Länder allenfalls willens, aber nicht in der Lage sind, den in einer ernsten Notsituation befindlichen Hochschulen zusätzliche Mittel bereitzustellen. Im Gegenteil ist zu befürchten, daß nach dem Wahljahr 1994 die angeschlagenen Universitäten weiteren einschneidenden haushaltsrechtlichen Beschränkungen unterworfen werden. An die Stelle des intendierten partnerschaftlichen Gebens und Nehmens ("Geld gegen Reform") tritt eine staatlich bestimmte Eingriffs- und Mängelverwaltung, die die Autonomie der Hochschulen mehr und mehr aushöhlt. Teile des sog. Eckwertepapiers der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sowie insbesondere die vorgelegte Gesetzesnovellierung in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen geben dafür ein beredtes Zeugnis. Angesichts des kaum noch zu verschleiernden finanziellen Offenbarungseides der Bildungspolitik würde es der Deutsche Hochschulverband begrüßen, wenn die politisch Verantwortlichen sich deutlich und schonungslos zu diesem Befund bekennen würden. Es ist zum Teil beschämend, mit welchen Vokabeln ("gestiegene Anforderungen im wiedervereinigten Deutschland und zusammenwachsenden Europa", "sich verschärfender weltweiter Wettbewerb") die ausschließlich finanzpolitisch motivierten Pläne für eine grundlegende Studienreform verschleiert werden. Noch beschämender ist es, wenn eine finanzpolitisch diktierte Studienreform auf gewachsene und bewährte Strukturen der deutschen Universität und auf die Sicherung von Qualitätsmaßstäben glaubt verzichten zu können.
Hochschulzugang: Der Deutsche Hochschulverband fordert von der Mehrzahl der Bundesländer, die Leistungsanforderungen an das Abitur zu erhöhen. Er fordert, die Möglichkeiten des Aus- und Abwählens einzelner Fächer zugunsten eines Grundkanons von im Abitur geprüften Hauptfächern zu reduzieren und auf die Nebenfächer zu beschränken. Dementsprechend setzt er sich für einen weitgehenden Erhalt des Klassenverbandes bis zum Abitur ein. Solange diese Vorschläge zur Stärkung des Abiturs nicht durchgesetzt und zum Erfolg geführt haben werden, tritt der Deutsche Hochschulverband dafür ein, eine durch Landesgesetz festzulegende engere Verknüpfung von schulischen Leistungen und gewähltem Studienfach einzuführen. Zur Stärkung der allgemeinen Studierfähigkeit ist es dringend erforderlich, von den Studienbewerbern den Nachweis zu fordern, daß sie erfolgreich an Lehrveranstaltungen in der Schule (Kurse) teilgenommen haben, die für das gewählte Studienfach grundlegend sind. Wie die vom Hochschulverband initiierte Studie "Studierfähigkeit konkret" für 36 Universitätsstudienfächer belegt hat, sind die Universitäten ohne weiteres in der Lage, fakultätsweise die Anforderungen an die Aufnahme eines Fachstudiums zu formulieren. Auf diese Weise übernehmen die Universitäten bereitwillig ein erhöhtes Maß an Verantwortung für den Studienerfolg. Darüber hinaus werden sie in die Lage versetzt, in verstärktem Umfang studiengangspezifische Profile zu entwickeln. Allerdings ist dabei zu verhindern, daß Studierwillige, die dem Anforderungsprofil der Fakultät nicht genügen, über eine "Warteliste" Zugang erhalten und damit das sach- und fachbezogene Auswahlverfahren umgehen. Der Deutsche Hochschulverband begrüßt insoweit das neue Hochschulgesetz von Sachsen und den in Mecklenburg-Vorpommern vorgelegten Gesetzesentwurf als Schritt in die richtige Richtung.
Studienzeitbegrenzung: Der Deutsche Hochschulverband begrüßt uneingeschränkt die bundesweite Einführung des in einigen Bundesländern jetzt schon erfolgreich praktizierten Freiversuchs in allen Hochschulabschluß- und Staatsprüfungen. Darüber hinaus empfiehlt der Hochschulverband ab dem 16. Semester eine Mißbrauchsgebühr, die sich an der Höhe der sozialen Vergünstigungen, die mit dem Studentenstatus verbunden sind, orientieren soll. Da die deutsche Universität nicht zum "Durchlauferhitzer" degenerieren soll, wird eine darüber hinausgehende Sanktionierung einer Regelstudienzeitüberschreitung nicht befürwortet. Ein individueller Studienplan darf ebenso wie die aus fachlichem Interesse gesetzte Schwerpunktbildung nicht unter Strafe gestellt werden. Deshalb wird die vorgeschlagene Einschränkung der Möglichkeit zu einem Studienfachwechsel als zu kurz gegriffen abgelehnt. Bessere und intensivere Studienberatung vor Aufnahme eines Studiums und Maßnahmen zur Erhöhung der Studierfähigkeit sind geeignete Mittel, um die in der Tat erschreckend hohe Abbrecherquote zu senken.
Zweiteilung des Studiums: Der Deutsche Hochschulverband hält daran fest, daß es nicht der Auftrag der Universität sein kann, eine möglichst große Zahl von Studierenden in möglichst kurzer Zeit und zu möglichst geringen Kosten mit einem Berechtigungsschein in die Arbeitswelt zu entlassen. Vielmehr ist es die originäre Aufgabe der Universitäten, mit ihrer "Ausbildung durch Wissenschaft" die Berufsfähigkeit der Absolventen zu gewährleisten. Der Deutsche Hochschulverband lehnt daher eine Differenzierung des Universitätsstudiums im Sinne eines "theoriebezogenen, berufsqualifizierenden Studiums" und einer "Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses" ab. Diese Differenzierung, deren Finanzierung im übrigen ungeklärt ist, geht von der verfehlten Vorstellung aus, daß die derzeitige Universitätsausbildung einen Großteil der Studierenden unnötigerweise mit einem nicht für den Beruf relevanten Prüfungs- und Lehrangebot traktiere, das lediglich für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses erforderlich sei. Ein universitäres Studium kann seiner Definition nach nicht "entwissenschaftlicht" werden. Richtig ist aber, daß der für das erste berufsqualifizierende Universitätsexamen erforderliche Prüfungsstoff dringend der Konzentration bedarf.
Staatliche Festlegung von Eckwerten: Der Deutsche Hochschulverband lehnt die einseitig vom Staat verordnete Festlegung starrer Regelstudienzeiten, Semesterwochenstundenvolumina, Prüfungsvorleistungen, Prüfungsleistungen, Prüfungszeitpunkte und Prüfungsdauer als einen Eingriff ab, der der Autonomie von Lehre und Studium in der Universität Schaden zufügt. Mit derartigen Festlegungen werden zumindest mittelbar Studieninhalte reglementiert und somit in die Kernbereiche der Lehr- und Prüfungsfreiheit eingegriffen.
Mittelzuweisung unter Einbeziehung von "Leistungskomponenten": Der Deutsche Hochschulverband hat bereits vor zwei Jahren ein Thesenpapier zur "Qualität des Studiums" vorgelegt und ein differenziertes Anreizsystem für Studierende und Hochschullehrer gefordert. Demgegenüber hält es der Hochschulverband für abwegig, Mittelzuweisungen nicht nach wissenschaftlicher Qualität, sondern nach quantitativen Kriterien, insbesondere nach der Absolven- tenquote, zu bemessen. Auf diese Weise kann die Notenvergabe korrumpiert und die auch unter den Bedingungen der "Massenuniversität" noch intakte Qualitätssicherungsfunktion systematisch untergraben werden. Die Verantwortung der Universität gegenüber der Gesellschaft wird dabei grob verkannt.
Instrumentalisierung der Lehrevaluation: Der Deutsche Hochschulverband hat seine Mitglieder seit jeher angehalten und aufgefordert, das Lehrdeputat in vollem Umfang und in eigener Person zu erbringen. Schwerwiegende Verletzungen der Lehrverpflichtung sind disziplinarisch zu ahnden. Mangels eines sachlichen Zusammenhanges ist es aber sinnlos, die Genehmigung von Forschungsfreisemestern, die Genehmigung von Nebentätigkeiten oder die Aufnahme von Bleibeverhandlungen von nicht näher definierten Lehrleistungen ab- hängig zu machen. Dies gilt bereits für dienstpflichtwidrigerweise nicht erbrachte Lehre, da beispielsweise die Gewährung eines Forschungssemesters vornehmlich von der Qualität des Forschungsvorhabens abhängt und keineswegs eine "Belohnung" für erbrachte Lehrleistungen ist. Dies gilt umso mehr, wenn auch qualitative Wertungen von erbrachten Lehrleistungen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden sollen.
Stellung des Dekans: Da der Hochschulverband die Universitätswirklichkeit kennt, lehnt er die Vorschläge einer Hierarchisierung im verwaltungstechnischen Sinne zwischen dem Dekan und den übrigen Professoren der Fakultät ab. Die Übertragung ungewollter Dienstvorgesetzteneigenschaften auf die Dekane beruht auf einer Verkennung des kollegialen Selbstverständnisses und der Eigenverantwortung des einzelnen Hochschullehrers und steht im Widerspruch zu bewährten Elementen der akademischen Tradition in Deutschland. Der Vorschlag verkennt die innere Struktur einer Fakultät und geht deswegen an der Wirklichkeit vorbei.
Fächerverlagerung an die Fachhochschule: Der Hochschulverband begrüßt den verstärkten Ausbau der Fachhochschulen, wenn er eine geeignete Maßnahme ist, die Universitäten zu entlasten. Allerdings kann nur ein differenziertes Ausbildungsangebot unter Betonung des spezifischen, praxisorientierten Ausbildungsauftrages der Fachhochschulen, das einhergeht mit der flächendeckenden Einführung der Berufsakademie in allen Bundesländern, diese Forderung erfüllen. Der Hochschulverband warnt davor, universitäre Studiengänge in das Fächerspektrum der Fachhochschulen aufzunehmen. Beispielsweise können komplexe Führungsaufgaben regelmäßig nur von einem wissenschaftlich ausgebildeten und in methodischer Konfliktlösung geschulten Juristen und nicht von an der Fachhochschule ausgebildeten Rechtsanwendern gemeistert werden.
Erhöhung des Lehrdeputats Die insbesondere von der Finanzministerkonferenz favorisierte Erhöhung des Lehrdeputats ist durch keinerlei vernünftige Gründe zu rechtfertigen. Die Universitätsprofessoren sind schon seit langem an der Grenze ihrer Belastbarkeit durch ihre Aufgabenwahrnehmung in der Lehre einschließlich Prüfungen, in der Forschung und in der Selbstverwaltung angelangt. Die Universitätsprofessoren erwarten dafür keine Dankbarkeit, sie erwarten aber sehr wohl, daß man ihr Engagement, das im Durchschnitt weit über 50 Wochenstunden liegt, nicht noch mit zusätzlichen Dienstverpflichtungen entlohnt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß viele Universitätsprofessoren unter bewußter Vernachlässigung ihrer Aufgaben in der Forschung auf freiwilliger Basis mehr als acht Semesterwochenstunden lesen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Berufsbild des Universitätsprofessors durch eine grundsätzliche Gleichgewichtigkeit von Forschung und Lehre charakterisiert. Dieses heute schon nicht mehr bestehende Gleichgewicht würde weiter einseitig belastet und die Universität auf den unheilvollen Weg zur Lehrakademie führen. Zudem läßt sich mit der Erhöhung des Lehrdeputats unter dem derzeit geltenden Kapazitätsrecht kein ins Gewicht fallender Sparerfolg erwirtschaften, solange die Angehörigen des sog. Mittelbaus von der Erhöhung des Lehrdeputats ausgespart bleiben. Etwas anderes würde nur gelten, wenn mit der Erhöhung des Lehrdeputats auch die Streichung von Professorenstellen verbunden sein soll. Auch insofern wünscht sich der Hochschulverband mehr Ehrlichkeit in der hochschulpolitischen Diskussion. Die Erhöhung des Lehrdeputats für Professoren führt zudem zu mehr Lehre und damit zu einer Vermehrung des Prüfungsstoffes. Sie ist daher eine Maßnahme zur Verlängerung der Studienzeit. Auch hier wünscht sich der Deutsche Hochschulverband mehr Mut zur Wahrheit.
"Entbeamtung" der Hochschullehrer: Die "Prüfung der geltenden Regelung zur Verbeamtung von Professoren" und insbesondere die Vorschläge aus Kreisen der CDU, Professoren zukünftig vornehmlich befristet anzustellen, arbeiten mit der ehrenrührigen Hypothese, daß Hochschullehrer im Gegensatz zu allen anderen Beamten beruflich-existentieller Leistungskontrollen bedürfen. Die deutschen Hochschullehrer verwahren sich gegen diese verdeckte Schuldzuweisung durch eine Politik, die die Hochschulen seit 20 Jahren der wachsenden Unterfinanzierung preisgegeben hat. Der Deutsche Hochschulverband weist darauf hin, daß die Tätigkeit des Hochschullehrers eine hoheitliche Aufgabe ist, die der beamtenrechtlichen Einkleidung bedarf. Der Hochschulverband sieht mit Sorge, daß durch befristete oder einseitig auflösbare Beamten- oder Angestelltenverhältnisse die persönliche Unabhängigkeit des Hochschullehrers in Gefahr gerät. Wie das amerikanische Hochschulsystem zeigt, droht eine weitere Politisierung der Wissenschaft und in seiner deutschen Ausformung der Zugriff der Parteien auf die Wissenschaft. Der Deutsche Hochschulverband sieht im übrigen mit tiefer Besorgnis, daß bereits heute aus demographischen Gründen eine Vielzahl von Professuren nicht adäquat zu besetzen ist. In Zeiten einer derartigen Mangelsituation den Versuch zu unternehmen, die Einstellungsbedingungen zu verschlechtern, ist auch für die immer wieder eingeforderte Qualität der Lehre kontraproduktiv. Dies ist im übrigen ein weiterer Schritt, die Attraktivität des Hochschullehrerberufes zu senken. Bei einem durchschnittlichen Habilitationsalter von über 41 Jahren wird das ohnehin bestehende hohe berufliche Risiko zusätzlich noch verschärft.