Selbstkontrolle der Wissenschaft

Selbstkontrolle der Wissenschaft und wissenschaftliches Fehlverhalten

Resolution des 50. Hochschulverbandstages 2000

 

"Selbstkontrolle der Wissenschaft und wissenschaftliches Fehlverhalten"

 

1. Zunehmender Wettbewerb und Globalisierung stellen auch an Universitäts-

lehrer (1) und ihre wissenschaftliche Arbeit immer höhere Anforderungen. Gesteigerter Wettbewerb darf jedoch nicht zu einer Minderung der Qualität von Forschung oder zu einer Missachtung wissenschaftlicher Grundregeln führen.

 

 

2. Jedes wissenschaftliche Fehlverhalten verletzt das Selbstverständnis des Wissenschaftlers. Es zerstört das Vertrauen, das die Öffentlichkeit in die Lauterkeit der Wissenschaft setzt. Ohne dieses Vertrauen verliert das Zusammenleben von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Grundlage. Wer dieses Vertrauen gefährdet, gefährdet nicht nur seinen eigenen Ruf, sondern auch den der Universitäten und der Wissenschaft insgesamt.

 

 

3. Die Grundregeln wissenschaftlicher Arbeit sind in allen Disziplinen der Wissenschaft gleich. Oberstes Prinzip ist die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen. Die Redlichkeit in der Suche nach Wahrheit und in der Weitergabe von wissenschaftlicher Erkenntnis bildet das Fundament für die Berufsausübung des Universitätslehrers.

 

 

4. Wissenschaftliches Fehlverhalten kann in vielfältigen Formen auftreten. Es liegt zum Beispiel vor bei Erfindung oder Fälschung von Daten, unberechtigter Nutzung fremden geistigen Eigentums oder Behinderung der Forschungstätigkeit anderer. Gemeinsames Merkmal wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist die wissenschaftliche Unredlichkeit.

 

 

5. Auch das Erstellen sogenannter Gefälligkeitsgutachten und -expertisen, die ohne hinreichende Prüfung des Für und Wider nach den Wünschen von Auftraggebern erstattet werden, denen nicht am richtigen, sondern allein an dem ihnen vorteilhaften Ergebnis gelegen ist, stellt ein wissenschaftliches Fehlverhalten dar.

 

 

6. Für die Einhaltung wissenschaftlicher Redlichkeit trägt die Gemeinschaft der Wissenschaftler Verantwortung. Staatliche Kontrolle ist hierfür nicht nur unnötig, sondern kontraproduktiv.

 

 

7. Die Universitätslehrer sind aufgerufen, allgemeine Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu formulieren und einzuhalten. Dazu gehören unter anderem die Verpflichtung, lege artis zu arbeiten, Forschungsergebnisse zu dokumentieren, Ehrlichkeit und Unvoreingenommenheit gegenüber Partnern wie Konkurrenten sowie die Bereitschaft zum konsequenten Zweifel an den Ergebnissen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit. Jeder Wissenschaftler ist dazu verpflichtet, sich die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis bewusst zu machen und in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre anzuwenden.

 

 

8. Universitätslehrer tragen auch für die wissenschaftliche Arbeit der Studierenden Verantwortung. Sie haben daher den Studierenden frühzeitig die Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit vorzuleben und zu vermitteln. Sie haben Sorge dafür zu tragen, dass der wissenschaftliche Nachwuchs die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis lernt. Studierende und wissenschaftlicher Nachwuchs sind für das Erkennen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu sensibilisieren.

 

 

9. Hochschullehrer sollen an ihren Hochschulen und ihren FakultätenVorkehrungen für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten treffen. Dazu gehört eine von den Fakultäten zu beschließende Verfahrensordnung nicht nur zur Vermeidung von wissenschaftlichem Fehlverhalten, sondern auch zum Umgang mit dem Vorwurf unredlichen Verhaltens. Da das Grundgesetz die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert, berührt das Verfahren der Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens einen verfassungsrechtlich sensiblen Bereich. Daher sind strenge Anforderungen an die Kriterien zur Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu stellen. Die Untersuchung und Feststellung darf nicht zu einer Einschränkung der Forschungsfreiheit oder zur Fremdbestimmung führen. Die Ermächtigung zum Erlass einer solchen Verfahrensordnung bedarf ebenso der gesetzlichen Grundlage wie die Grundzüge des Verfahrens selbst.

 

 

10. An den Hochschulen sollen unabhängige Kommissionen eingerichtet werden, die bei einem konkreten Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens tätig werden können. Die Kommissionen sollen sich aus besonders angesehenen Wissenschaftlern aller Fächergruppen zusammensetzen und müssen mit Untersuchungsbefugnissen ausgestattet sein. Der Betroffene ist umgehend anzuhören.

 

 

11. In Fällen eines begründeten Verdachts auf wissenschaftliches Fehlverhalten haben die Hochschullehrer die Pflicht, an der Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts mitzuwirken. Bis zur Klärung des Sachverhaltes ist Vertraulichkeit zu wahren. Die Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens soll in einer der Sache angemessenen Form veröffentlicht werden. Universitätslehrer, bei denen sich ein Vorwurf als unbegründet erwiesen hat, sind vollständig und öffentlich zu rehabilitieren.

 

 

12. Wer als Hochschullehrer wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens strafrechtlich oder disziplinarrechtlich rechtskräftig verurteilt ist, hat essentiell gegen die ethischen Prinzipien seiner Berufsgruppe verstoßen. Er kann nicht Mitglied des Deutschen Hochschulverbandes werden oder bleiben.

 

(1) "Verbum hoc 'si quis' tam masculos quam feminas complectitur" (Corpus Iuris Civilis Dig. L, 16, 1).