Wissenschaft und Ethik

Resolution des 60. DHV-Tages

Wissenschaft und Ethik

1. Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit. Voraussetzungen für die Suche nach Wahrheit sind Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen wie Unparteilichkeit. Der redliche Umgang mit Methoden, Quellen und Daten sowie dem geistigen Eigentum Dritter bilden - national und international - das Fundament für die Berufsausübung von Wissenschaftlerinnen u. Wissenschaftlern. Fehlverhalten in der Wissenschaft verletzt die Eigengesetzlichkeit von Wissenschaft, beschädigt Kollegialität und zerstört das Vertrauen, das die Öffentlichkeit in die Lauterkeit von Wissenschaft setzt.

2. Wissenschaftler haben in Staat und Gesellschaft die Aufgabe, Wissen und Erkenntnis zu mehren und zu vermitteln sowie Kraft ihrer Expertise Legislative, Exekutive und Jurisdiktion zu beraten. Diese Aufgaben sind nur auf der Basis allgemein gültiger, ethischer Anforderungen an den Beruf des Wissenschaftlers zu erfüllen.

3. Relevanz und Renommee von Wissenschaft werden von der Einhaltung wissenschaftsimmanenter ethischer Grundsätze maßgeblich bestimmt. Der DHV sieht mit Sorge, dass in jüngster Zeit - im großen wie im kleinen Maßstab - diese ehernen, ethischen Grundsätze mit steigender Tendenz verletzt worden sind. Angesichts der damit in aller Regel verbundenen Skandalisierung in den Medien befürchtet der DHV ein wachsendes Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaft und Wissenschaftlern. Dass Fehlverhalten in der Wissenschaft nur von einer sehr kleinen Zahl von Wissenschaftlern begangen wird, wird dabei nicht bedacht.

4. Wissenschaftler sind zur Unparteilichkeit verpflichtet. Wissenschaftliche Argumente und Urteile dürfen nur nach Würdigung der Gegenargumente abgegeben werden. Gefälligkeitsgutachten widersprechen dem Berufsethos. Wissenschaft ist weisungsfrei. Ihre Unparteilichkeit steht unter grundrechtlichem Schutz. Gleichwohl unterliegen wissenschaftliche Forschung und Expertenurteile vielfältigen Versuchen illegitimer Einflussnahme. Solche Beeinflussungen sind zu meist dann am größten, wenn die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung oder eines wissenschaftlichen Forschungsergebnisses erhebliche wirtschaftliche und politische Folgen zeitigt. Um diese Gefahr zu minimieren, plädiert der DHV für Transparenz. Der DHV ruft daher alle Wissenschaftler dazu auf, alle nicht aus der staatlichen Grundausstattung finanzierten Forschungsprojekte und Drittmittelprojekte einschließlich der Auftraggeber offenzulegen, soweit nicht dem Drittmittelnehmer vom Drittmittelgeber aufgegeben worden ist, das Forschungsprojekt vertraulich zu behandeln. Auf diese Weise wird dem in der Öffentlichkeit häufig geäußerten Verdacht entgegengewirkt, dass das Ergebnis einer wissenschaftlichen Expertise und die Zurverfügungstellung von Drittmitteln in einem inhaltlichen oder sogar kausalen Zusammenhang stehen. Alle Fachzeitschriften sind gehalten, die einem Fachbeitrag zugrundeliegenden Zuwendungsverhältnisse zu veröffentlichen.

5. Die politisch Verantwortlichen werden aufgefordert, sich mit den Zusammenhängen von wissenschaftlich unethischem, sogar strafbarem Verhalten und zunehmendem Wettbewerbsdruck auseinanderzusetzen. Das ständige Drängen auf eine Erhöhung der Drittmittelquote und die persönliche Bezahlung nach Maßgabe von Parametern wie Drittmittel, Promotionen und Veröffentlichungen usw. hat auch Schattenseiten, die sich nicht in der Lenkung von Wissenschaft erschöpfen, sondern auch unethisches wissenschaftliches Verhalten mittelbar fördern. Die Verschärfung des Wettbewerbs um Finanzierungsmittel und die Abhängigkeit wissenschaftlicher Karrieren von - nach extern gesetzten Kriterien - festgestellter wissenschaftlicher Leistung erhöht die Gefahr unethischen wissenschaftlichen Verhaltens.

6. Unabhängig von rechtlichen Rahmenbedingungen und politischen Vorgaben hat jeder Wissenschaftler eine berufsethische Verantwortung, über deren Inhalt und Grenzen er selbst entscheiden muss. Dies gilt auch für die Folgenabschätzung von Forschungsergebnissen. Zwar können Wissenschaftler weder alle Ergebnisse ihrer Forschung voraussehen, noch können sie alle Folgen ihrer Berufstätigkeit stets zuverlässig einschätzen. Sie haben aber die Verpflichtung, sich mit diesen Fragen stets auseinanderzusetzen und als Bürger und Wissenschaftler in Staat und Gesellschaft diese Auffassung zu vertreten. Sie können diese Verantwortung nicht Staat und Gesellschaft überlassen.

7. Wissenschaft steht im Dienst des Menschen. Deshalb ist Forschung ohne ethische Orientierung keine Wissenschaft. Daher ist es wichtig, ethische Fragen in das Curriculum jedes universitären Studiums einzubringen. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise kann auch als Versagen einer wissenschaftlichen Ausbildung verstanden werden, die ihre ethischen Wurzeln verloren hat. Der DHV fordert, dass künftige Funktionseliten in ihrem wissenschaftlichen Studium frühzeitig und umfassend mit ethischen Fragestellungen vertraut gemacht werden. Fachbezogene Ethik mit Bezug zur jeweiligen Wissenschaftsgeschichte sollten daher an allen deutschen Universitäten Teil des Pflichtlehrangebotes sein.

Hamburg, den 23. März 2010