Zum Befristungsrecht in der Wissenschaft - Positionspapier des Deutschen Hochschulverbandes
- Wissenschaft und Befristung
Wissenschaft braucht einen unaufhörlichen Zufluss neuer Ideen und Talente. Das Neue kommt in die Welt der Wissenschaft durch (zumeist lebensjüngere) Menschen, die von (zumeist lebensälteren) anderen Menschen mentoriert, gecoacht, beflügelt und unterstützt werden. Die stetige personelle Erneuerung ist das Schwungrad der Wissenschaft. Daher: Wer Universitäten zerstören will, muss nur alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Promotion bis zur Altersgrenze unbefristet beschäftigen.
Auf der anderen Seite ist Wissenschaft auch Betrieb, sind die Universitäten auch Arbeitgeber. Um den für sie lebenswichtigen Nachwuchs für sich zu gewinnen, reicht es schon seit geraumer Zeit nicht mehr aus, auf die Faszination von Wissenschaft allein zu vertrauen. In fast allen Fächern muss die Universität darum ringen, die Besten eines Jahrganges an sich zu binden. Das wird in keinem Fach mehr ohne eine gesicherte Karriereperspektive, ohne eine Work-Life-Balance, ohne Maßnahmen zur Vereinbarkeit wissenschaftlicher Karrieren mit Familie, ohne Tenure (Lebenszeitprofessur) und ohne Tenure Track gelingen. Insofern gilt auch umgekehrt: Wer Universitäten zerstören will, muss nur alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Promotion bis zur Altersgrenze auf aneinandergereihten befristeten Stellen beschäftigen.
- Reformdebatte
Die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft ist zurzeit erneut Gegenstand hochschulpolitischer Reformbestrebungen. Insbesondere von Vertretern des Mittelbaus und von den Gewerkschaften wird gefordert, die Zahl unbefristeter Verträge in der Wissenschaft zu erhöhen . Teilweise wird gefordert, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) abzuschaffen, das unter bestimmten Voraussetzungen befristete Arbeitsbeschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft erlaubt .
Ohne das WissZeitVG würde auch für die Wissenschaft das Teilzeit- und Befristungsgesetz gelten. Dessen Anwendung würde das Verhältnis von Befristung zur Nichtbefristung voraussichtlich nahezu umkehren, aber dabei die Notwendigkeiten, die Drittmittelbefristung und Qualifikationsverfahren mit sich bringen, ignorieren. Zurzeit ist nur eine/r von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unbefristet beschäftigt. Ihre Gesamtzahl liegt bei 190.000.
- Ist Wissenschaft als Beruf attraktiv?
Grundsätzlich ist die Klage über die Unattraktivität von „Wissenschaft als Beruf“ berechtigt. Der Weg in die Wissenschaft, insbesondere zur Professur, ist bis heute, wie vor hundert Jahren (Max Weber: „Ein Wilder Hazard“) steinig, unsicher und durch eine Vielzahl befristeter Verträge gekennzeichnet. Daran hat der Tenure Track nur quantitativ (für einige wenige), aber nicht strukturell etwas geändert.
Die Klage über befristete Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft betrifft sowohl den Tarifbereich als auch den beamteten Bereich. Grundsätzlich spielt es für die Frage der Attraktivität eines Arbeitsplatzes in der Hochschule keine Rolle, ob Zeitbeamtenverhältnisse oder befristete Arbeitsverhältnisse oder ein Mixtum beider, ggfs. angereichert durch zeitlich befristete Stipendien, aneinandergereiht werden.
- Strukturelle Zwänge
Die aktuelle Malaise ist ganz überwiegend eine Folge des Wettbewerbs in der Wissenschaft in Form von (staatlicher) Projektförderung. Dazu gehört auch die Exzellenzstrategie. Die damit einhergehende Zunahme von Drittmitteln und ihre staatlich prämierte Förderung als Leistungskriterium mit in vielen Fächern und Standorten ausschlaggebender Bedeutung bei gleichzeitiger chronischer Vernachlässigung der Grundfinanzierung hat ein Heer von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (*) generiert, die nur auf befristeten Stellen beschäftigt werden können. Für viele gilt: Ohne Drittmittel keine Beschäftigung, mit Drittmitteln nur eine befristete Beschäftigung.
Dennoch erscheint es wenig überzeugend, die letztlich systemisch vorgegebenen temporären und volatilen Finanzzuweisungen mit einem System der Entfristung koppeln oder gar bekämpfen zu wollen. Realistischerweise kann es bei einer Reform des Befristungsrechtes in der Wissenschaft nur um partielle Änderungen in einem relativ geringen Umfang gehen, nicht um eine Systemänderung. Denn das Wettbewerbsparadigma, das grosso modo die Wissenschaft weltumspannend charakterisiert, wird man nicht zurückdrehen können – und vielleicht auch nicht wollen.
- Differenzierung tut not
Auch wenn man akzeptieren muss, dass die Spielräume relativ gering sind, gibt es nach der Überzeugung des DHV genügend Potential für Verbesserungen. Ein großer Schritt zur Entschärfung des Befristungsdilemmas ist die personelle Entflechtung von Aufgaben der wissenschaftlichen Dienstleistung und Aufgaben der Eigenqualifikation.
Bei allen befristeten Arbeitsverhältnissen sollte zukünftig differenziert werden zwischen:
• wissenschaftlichen Dienstleistungen, die entweder auf Dauer oder auf Zeit zu erbringen sind (wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter),
• als Teil davon: die zeitlich befristeten wissenschaftlichen Dienst- und Projektleistungen, die drittmittelfinanziert werden,
• Beschäftigungsverhältnisse mit Qualifizierungsaufgaben (z.B. Promotion, Habilitation, Juniorprofessur oder Nachwuchsgruppenleitung) und
• selbständige Tätigkeit in Forschung, Lehre und Krankenversorgung (insbesondere Professuren).
a) Wissenschaftlichen Dienstleistungen, die auf Dauer zu erbringen sind (z.B. als Lecturer, Leitung eines Prüfungsamtes oder einer wissenschaftlichen Einrichtung usw.), sollte, nachdem sie zunächst nach den allgemeinen Regeln ein- oder zweimal befristet vergeben werden können, ein unbefristetes Dienstverhältnis zu Grunde liegen. Vor der unbefristeten Anstellung ist zu prüfen, ob es sich strukturell um eine Daueraufgabe handelt und ob ggfs. aus wissenschaftsimmanenten Gründen (Verjüngung, Verbesserungsmöglichkeiten, Wandel der Aufgabe usw.) die wissenschaftliche Dienstleistung mit einer Person auf Dauer besetzt werden soll oder nicht. Grundsätzlich ist aber die wissenschaftliche Dienstleistung auf Dauer das Feld, bei dem am ehesten - auch aus Rechtsgründen - ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorzuhalten ist. Unbefristete wissenschaftliche Dienstleister sollten im Übrigen aus Grundmitteln finanziert werden.
b) Eine Befristung, die allein auf einem befristeten Mittelzufluss beruht (Drittmittelbefristung), ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Niemand wird erklären können, wie man mit befristet eingeworbenen Drittmitteln unbefristete Verträge finanzieren soll. Bei wachsendem Drittmittelaufkommen sieht der DHV in diesem Bereich die größte Problematik der Befristungsdiskussion. Einerseits brauchen die Drittmittel einwerbenden Universitäten und Professorinnen und Professoren zur Durchführung ihrer Projekte wissenschaftliche Dienstleistung und Mitarbeit. Andererseits sind es häufig lebensältere wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen auf diesen Projektstellen mangels Berufung auf eine Professur in ihrer fünften oder sechsten Lebensdekade immer noch keine (relative) Sicherheit ihres Arbeitsplatzes Hochschule angeboten wird oder angeboten werden kann. Hier stehen sich soziale und wissenschaftspolitische Belange in kaum vereinbarer Weise gegenüber.
Der DHV schlägt vor, diesen Konflikt wenigstens partiell dadurch zu lindern, dass zunächst befristete Drittmittelbeschäftigungsverträge einen Warnhinweis auf die Unsicherheit einer Anschlussbeschäftigung obligatorisch enthalten müssen. Parallel dazu wären Coaching-Angebote für lebensältere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit befristeten Drittmittelverträgen für die Betroffenen ein wichtiges Zeichen, dass die Universität ihre Sorgen und Nöte wahr- und ernstnimmt. Darüber hinaus ist im Zuge einer Reform des Befristungsrechtes darüber nachzudenken, wie ein Teil der Drittmittelbefristeten, soweit sie auch (Dauer-) Aufgaben, z.B. in der Lehre, wahrnehmen, wenigstens teilweise in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden könnten. Dafür bedarf es aber der Zurverfügungstellung von Haushaltsmitteln für diesen Personenkreis. Diese Mittel müssen gepoolt werden und in einen eigenen Etat, der auch aus Overheadmitteln gespeist werden kann, gesammelt werden. Letztlich hält der DHV es auch nicht für falsch, perspektivisch an eine generelle Altersgrenze (allerdings notwendigerweise mit Ausnahmemöglichkeiten) für Drittmittelbeschäftigte zu denken. Ziel sollte es sein, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jenseits des 50igsten Lebensjahres sind, nicht mehr auf befristeten Stellen zu führen, sondern nur auf unbefristeten.
c) Befristungen mit der Aufgabe der Eigenqualifikation sind nach Auffassung des DHV grundsätzlich nicht zu beanstanden. Qualifikation und Befristung sind zwei Seiten einer Medaille. Der DHV spricht sich daher grundsätzlich weiterhin dafür aus, den Weg zur Professur nicht als „beamtete Laufbahn“ auszugestalten. Allerdings sind dabei zwei wesentliche Einschränkungen zu beachten:
aa) Im Umfang von bis zu 25 Prozent sollte für den besonders qualifizierten und leistungsfähigen wissenschaftlichen Nachwuchs nach der befristeten Postdoc-Zeit eine Stelle mit Tenure Track vorgesehen werden. Darunter versteht der DHV eine Stelle, die in eine Tenure-Professur umgewandelt werden muss, wenn die Evaluation positiv verläuft („echter Tenure Track“). Diese Stellenkategorie hat die Aufgabe, den besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (*) eine sichere Perspektive an ihrer Universität geben zu können und Abwanderungen an Hochschulen in anderen Ländern mit Tenure Track entgegenzuwirken.
bb) Nach Maßgabe des DHV-Vorschlages, ein Y-Modell für unterschiedliche Berufswege in die Wissenschaft zu schaffen (Anlage), sollte frühzeitig eine Entscheidung getroffen werden, ob ein Postdoc dem wissenschaftlichen Nachwuchs (mit der alleinigen Aufgabe Eigenqualifikation) oder dem Bereich der wissenschaftlichen Dienstleistung (allerdings grundsätzlich ohne die Aufgabe und Gelegenheit zur Eigenqualifikation) zuzuordnen ist. Die gegenwärtig weitgehend praktizierte Vermengung von wissenschaftlicher Dienstleistung und Eigenqualifikation nach der Promotion wird vom DHV als Grundmodell abgelehnt. Die wissenschaftliche Dienstleistung von Qualifikanten erscheint nur insofern sinnvoll, als sie - deutlich belegbar und in kleinem Umfang – Inhalt und Förderung der Eigenqualifikation ist.
d) Professuren
Angesichts des schwierigen und langwierigen Qualifikationsweges (Erstberufungsalter auf eine Universitätsprofessur im Durchschnitt jenseits des 43. Lebensjahres) ist es nicht hinnehmbar, dass auch auf Professuren Befristungen eingezogen werden. Insbesondere die Universitätsprofessur bedarf auch keiner Probezeit. Die Professur sollte daher als unbefristete (Tenure) gestaltet werden.
- Änderung des WissZeitVG
Aus dem Vorhergehenden folgt ohne Weiteres, dass das WissZeitVG, das die Rechtsgrundlage für die Möglichkeit gibt, in der Wissenschaft befristet einzustellen, punktuell reformiert werden sollte. Sein Wegfall kann realistischerweise nicht zur Diskussion stehen, ohne der Wissenschaft zu schaden. Das WissZeitVG ist das Mittel zur Verbesserung der Befristungssituation in der Wissenschaft, nicht ihre Ursache. Der DHV sammelt zurzeit konkrete Fälle, in denen sich geltende Regelungen des WissZeitVG als problematisch erwiesen haben, um sie in die für 2020 angesetzte Evaluation des WissZeitVG einzubringen.
- Nur ein Rechtsregime für Befristungsregelungen in der Wissenschaft
Der DHV spricht sich dafür aus, das Nebeneinander und die Verschränkung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) und des WissZeitVG aufzuheben. Befristungen im wissenschaftlichen Bereich sollten ausschließlich nach Maßgabe des WissZeitVG als lex specialis geregelt werden. Dabei sollte das WissZeitVG auch für die Befristung von nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rechtsgrundlage sein, sofern sie in der Wissenschaft beschäftigt sind.
Beschluss des Präsidiums vom 13. Februar 2020 und Beschluss des Erweiterten Präsidiums vom 14. Februar 2020
(*) Der besseren Lesbarkeit halber gelten alle maskulinen Personen- und Funktionsbezeichnungen auf unseren Seiten für Frauen und Männer in gleicher Weise. Es gilt: Pronuntiatio sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigitur (Corpus Iuris Civilis Dig. 50,16,195, veröffentlicht 533 n. Chr.), übersetzt: Die Redeform im männlichen Geschlecht erstreckt sich für gewöhnlich auf beide Geschlechter.