Zur Zukunft der deutschen Universität

Resolution des 49. Hochschulverbandstages 1999

1. Die Universität gehört zu den erfolgreichsten Einrichtungen der in Europa gewachsenen Kultur. Als Stätte von Bildung und Wissenschaft, von Kunst und Kultur war sie in ihrer über achthundert Jahre währenden Tradition der Ort für die Gewinnung von Erkenntnissen und für die Pflege von Weisheit.

2. Die im Zuge der internationalen Vernetzung fortschreitende Globalisierung stellt auch die Universität zum Ende dieses Jahrhunderts vor besondere Herausforderungen. Sie eröffnet den Universitäten im Austausch der wissenschaftlichen Erkenntnisse neue Möglichkeiten und Chancen. Die unter dem Vorwand der Globalisierung derzeit betriebene Ökonomisierung aller Lebensbereiche droht diese Chancen allerdings zunichte zu machen. Wer die Universität nur noch als einen Faktor im Wirtschaftsstandort Deutschland gelten läßt, verkennt ihren gesellschaftlichen und kulturellen Auftrag und ihre Eigenart. Er fügt damit nicht nur Bildung und Wissenschaft, Kunst und Kultur, sondern auch dem geistigen Umfeld schweren Schaden zu, auf das gerade der Wirtschaftsstandort Deutschland angewiesen ist. Nur der in der Persönlichkeit gebildete unternehmerische Geist gewährleistet den Erfolg und die Anziehungskraft eines jeden Wirtschaftsstandorts im internationalen Wettbewerb.

3. Um die Zukunft der Universität zu sichern, hält es der Deutsche Hochschulverband für notwendig, in den folgenden Grundsätzen an die unverzichtbaren Bestandteile der Universität zu erinnern. An der Beachtung und Förderung dieser Grundsätze messen die deutschen Universitätslehrer den Erfolg oder Mißerfolg einer jeden Hochschulpolitik.

4. Die Universität ist ein wesentlicher Bestandteil der Kultur eines Landes. Sie ist ein Forum geistiger und wissenschaftlicher Begegnung. Sie dient der Persönlichkeitsbildung der Lernenden und Lehrenden durch Suche nach Wahrheit.

5. Die Universität ist ohne die Freiheit von Forschung und Lehre nicht vorstellbar. Freiheit der Wissenschaft bedeutet Freiheit von politischer und gesellschaftlicher Fremdbestimmung. Sie muß deshalb vor Eingriffen von außen ebenso geschützt werden wie vor Mißbräuchen durch Mitglieder der Universität. Die Freiheit des Geistes, die die Universität zum Wohle der Gesellschaft zu fördern und zu sichern hat, ist ein Kernstück unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung.

6. Die Universität zeichnet sich aus durch die Einheit und die Unteilbarkeit von Forschung und Lehre. Nur eine Lehre, die sich ständig aus der Forschung erneuert, ist eine universitäre Lehre. Nur sie erfüllt den Anspruch einer Ausbildung durch Wissenschaft.

7. Die Universität bietet ein akademisches Studium an, das Berufsfähigkeit, nicht Berufsfertigkeit, die erst in der Ausübung des Berufes erworben werden kann, vermittelt. Das Universitätsstudium ist berufs- und praxisbezogen. Es ist nicht vorrangig auf die Ausbildung zum Wissenschaftler, sondern auf die spätere Berufstätigkeit ausgerichtet. So dient das Universitätsstudium dazu, in der Vermittlung von Wissen und Wissenschaft die Befähigung zur eigenständigen Erkenntnis und Lösung neuartiger Probleme unter Berücksichtigung ihrer ethischen und gesellschaftlichen Aspekte zu fördern.

8. Die Universität ist die Heimat von Forschung und Lehre. Sie ist der Ort der wissenschaftlichen Begegnung in der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Alle anderen Aufgaben, die ihr durch die Politik in immer größerem Umfang zugewiesen werden, sind dem primären, nämlich wissenschaftlichen Auftrag der Universität unterzuordnen. Die Universität ist weder Wirtschaftsbetrieb noch Ausbildungsfabrik, sie ist keine Behörde und auch kein öffentliches Beschaffungsamt für nützliche Informationen.

9. Die Universität orientiert sich am Gedanken der universitas litterarum. Nur die Vielfalt der Fächer gewährleistet die interdisziplinäre Forschung und Lehre. Die Begegnung der Fächer in Forschung, Lehre und Studium trägt wesentlich zur intellektuellen Faszination der Universität bei. Sie darf nicht durch Sparmaßnahmen gefährdet werden. Das schließt nicht aus, daß aus finanziellen und strukturellen Überlegungen Fächergruppen und Schwerpunkte in der Form der Spezialisierung an einzelnen Universitäten gebildet werden.

10. Die Universität braucht zu ihrer Entfaltung Autonomie. Ohne das Übermaß staatlicher Regulierungen würde die Universität besser funktionieren. In allen akademischen Angelegenheiten hat sich der Staat auf die Rechtskontrolle zu beschränken. Die innere Organisation der Universität und die interne Mittelvergabe hat der Landesgesetzgeber wieder in die Hände der Selbstverwaltung der Universität zu legen. Den Universitätsprofessoren als den "Inhabern der Schlüsselfunktionen des wissenschaftlichen Lebens" (Bundesverfassungsgericht) kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, mit der entsprechende Entscheidungsbefugnisse korrespondieren müssen.

11. Die Universität benötigt eine verläßliche finanzielle Ausstattung. Sie erwartet von Staat und Politik die Einlösung gegebener Versprechen. Studiengebühren müssen, wenn und soweit sie erhoben werden, uneingeschränkt und ohne Anrechnung den Universitäten zusätzlich zugute kommen.

12. Die Universität dient der Heranbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Allein die Universität hat das Promotions- und das Habilitationsrecht.

13. Die Universität hat das Recht und die Pflicht, ihre Studierenden auszuwählen. Dabei ist es ihr freigestellt, ob sie je nach Fach das Abitur als Ausweis der Studierfähigkeit ausreichenlassen will, ob sie die Benotung der Abiturfächer gewichten will oder ob sie durch zusätzliche Prüfungen auswählt. Entscheidend ist, daß die Universitäten im freien Wettbewerb der Fächer die Möglichkeit haben, die besten Studierenden für sich zu gewinnen.

14. Die Universität sucht und braucht neben dem Wettbewerb um die besten Studieren den auch den Wettbewerb um die besten Wissenschaftler. Bei der Berufung der Professoren kommt deshalb dem Votum der Fachwissenschaft der maßgebende Einfluß zu. Nur soweit der Wettbewerb als Qualitätssicherungsinstrument nicht oder nicht allein ausreicht, können Evaluationsverfahren als Ergänzung hilfreich sein. Dies setzt aber voraus, daß Evaluationsverfahren ausschließlich in der Hand der Universitäten selbst liegen und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Dabei muß sich die Universität hüten, einer "Tonnenideologie" durch bloße Zählung von Abschlüssen, Promotionen, Drittmitteln und ähnlichem anheimzufallen. Wettbewerb und Profilbildung bedeuten vielmehr, einer Universität das Recht zu geben, angemessene Kriterien bei der Evaluation selbst anzulegen. Solche Kriterien können auch die Zahl der Studierenden außerhalb von Pflichtvorlesungen, die Begegnung der Fächer im Dialog der wissenschaftlichen Disziplinen, die Zahl der sog. Kleinen Fächer und ähnliche sein.

15. Die Universität ist der Pflege und Fortentwicklung akademischer Traditionen verpflichtet. Dazu gehören die Pflege eigener Lebensformen, die Beratung der Fachbereichssprecher im consilium decanale, die Promotion als Nachweis der Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit, die Habilitation als Ausweis der Lehrstuhlreife und die Disputation als wissenschaftlicher Streit nach Regeln.